Sense & Sound

ES WAR AUCH DAMALS KEINE BEICHTE…

„Vielleicht erschaffe ich Gott erst im Sprechen, im freien Sprechen. In der Magie des Jetzt. Es war auch damals keine Beichte. Es war kein Sprachgitter zwischen ihm und mir, Erde und Himmel. Auf dem Stein sah ich einmal meinen Hauch aufsteigen.

Dies ist ein Film des Jetzt
Gott Stein Herz ich
Über die Himmel
Dieser Seele hin
Über die Abgründe
Das Muspilli ins Jetzt
Zu übersetzen aus Atem
Geht alles hervor
Im Wind steigt
Alles empor alles
Fiel der Gottheit
Fließendes Licht dein Blut Elias
Dein Gott Stein Herz
Ich auf die Welt herab
Schwarzes Loch aus Mord
Und Mode und doch
Unter milderem Himmel
Lebte ich wie durch
Ein Wunder als Kind
Und wohin der Geist
Mich zu gehen hieß
Dahin flog ich und was
Ich sein wollte floß
Im Rauschen des Baches fort
Und von meinem Herzen
Gingen Blitze Gottes Augen
Aus mich überall zu begleiten
Im Bernstein im Gold
Im Schwarz deiner Pupillen

Nichts andres ist mein Schreiben bis auf den heutigen Tag.“ (Die Alchemie der Utopie: S.12)

SENSE & SOUND: JIMI HENDRIX IST IMMER NOCH MEIN VORBILD – ALLERDINGS IM SCHREIBEN…

„Sprache ist bei mir eben immer noch nicht nur Sense, immer noch nicht nur Styropor für Storyburger, sondern zugleich auch, aber nicht nur: Sound… Ist nicht The star spangled banner, gespielt von Jimi Hendrix in Woodstock das einzige politische Lied, das nicht nur immer noch politisch, sondern vor allem künstlerisch aktuell ist? In diesem Song sind Sense & Sound zu einer neuen Legierung geworden: die Granaten, die Sirenen, die ramponierte Glorie der USA evozierend.“ (Die Alchemie der Utopie: S.27)

FÜRS SCHREIBEN LERNT AM MEISTEN VON ANALPHABETEN…

„Im Gegensatz zu den meisten, die weniger Gebildete oder Kinder nur belehren wollen, versuche ich immer, auch von ihnen zu lernen.
Zum Beispiel wie sie unverbildet sehen, wie sie sich die Welt erklären. Seit zehn Jahren lerne ich auch von der Sprechen lernenden und noch wild denkenden Johanna sehr viel über Sprache und Denken, was in mein Buchprojekt Jetzt Johanna einfließt. Ich studiere auch jetzt bei der vier Jahre jüngeren Judith, wie sich im kindlichen Bewusstsein Sprache und Welt gegenseitig erschaffen“ (Die Alchemie der Utopie: S.48)

DER PFLUG DER SPRACHE…

„Mehrere Felder haben, dass eines auch mal brach liegen kann, auf den anderen kann etwas wachsen, das zu verschiedenen Zeiten reift. Nicht immer kann man ernten. Manchmal genügt es, dem Wachsen zuzuschauen. Manchmal muß man Unkraut jäten. Immer irgendwie gießen.
Wichtig ist das Immer-Wieder-Umgraben des Feldes… Das Zutagefördern des Untergründigen… Das Herz umgraben, die Mördergrube, die Früchte der Humanitas hervorzubringen. Das geht nur durch Einschnitte, harte Fügungen, Steine, aus denen Funken fliegen. Bewusstsein und Unterbewusstsein, Natur und Geschichte umgegraben mit dem Pflug der Sprache, die Spuren schreibt, schwarzkrumige Zeilen im Feld Leben.“ (Die Alchemie der Utopie: S.48)

TONBANDREALISMUS UND DIE METRIK DES MÜNDLICHEN…

„Nach meinem Text Steinbruch, nach den syntaktischen Strukturen des Schriftdeutschen interessierte mich, ganz dialektisch, das Gegenteil: Über Militär nicht mehr in meiner Sprache zu schreiben, sondern nur mit der Sprache, die dort gesprochen wird. Dergestalt entstand Fleischwolf in der Fassung von 1985. Cherubim ist in gewisser Weise die Synthese aus biblischem beziehungsweise liturgischem Schrift-Deutsch und mündlicher Rede.“ (Die Alchemie der Utopie: S.51)

DIE SCHRIFT IST DAS SCHWARZ IM WEISS DER WELT…

„Die Schrift ist das Schwarz im Weiß der Welt, die Schrift ist das Weiß im Schwarz der Welt.“ (Die Alchemie der Utopie: S. 93)

ABER WOHER SOLL DIE KRAFT KOMMEN…

„Aber woher soll die Kraft kommen, Widerstand gegen Entwicklungen zu leisten, die gefährlich sind. Wer hat dafür noch eine Sprache? Und wenn man eine hätte, würde sie verstanden werden? Wer wird im Dschungelgetschilp unserer Werbejingels noch gehört, noch verstanden?“ (Die Alchemie der Utopie: S107)

WER SPRICHT DIE REINE SPRACHE DER WIRKLICHKEIT, WER HAT DIE REINE SCHAU DER DINGE?…

Führt nicht via Baudelaire, Goethe, Böhme, Paracelsus Pasolinis Weg über Plotin zurück zu Platon, der wie Sophokles in Eleusis eingetaucht ist in das größte Wunder aller Zeiten: das Theater im Kopf? Jenseits der vergänglichen und unvollkommenen Welt liegt die Welt der Archetypen – das Urbild der Dinge.“ (Die Alchemie der Utopie: S.150)

FILM IST DIE GESCHRIEBENE SPRACHE DER REALITÄT…

„Film ist die geschriebene Sprache der Realität, mündliche Sprache für Pasolini die Realität selbst. Die Realität spricht zum Menschen: Es sprechen die Wälder, die Winde, das Wasser…“ (Die Alchemie der Utopie: S.151)

IST HÖRSPIEL NICHT: IN DEN KOPF GEFAHRENER GEIST? DIE GESTALT DIESES GEISTES IST SPRACHE…

„Das Bewusstsein, dass Sprache eine Fortführung der Schöpfung ist, ist in Deutschland mit der Ausrottung und Vertreibung eines großen Teils der jüdischen Intelligenz ausgestorben. Spätestens seit die noch einmal aus dem Exil zurückgekehrten Denker Adorno und Bloch nicht mehr sind. Noch immer ist – im Theater und noch mehr im Hörspiel – Sprache der größte Katalysator für Phantasie: aus wenigen Phonemen entstehen Welten, nicht nur von dieser Welt.“ (Die Alchemie der Utopie: S.69)